Einleitung

In all den Jahren, in denen ich nun Bombina orientalis halte und auf Nachfrage züchte, habe ich mir nie großartig Gedanken darüber gemacht die Quappenaufzucht genauer zu beschreiben oder zu Versuchen diese nach außen zu vermitteln. War sie für mich, auf die ausgeführte Art und Weise, doch mehr Selbstverständlichkeit und irgendwie „logisch“. Von Zeit zu Zeit kommt es aber vor, dass ich um Rat ersucht werde bezüglich dieses Themas. Es scheint – trotz dessen dass Bombina orientalis seit vielen Jahren erfolgreich nachgezüchtet wird – vieles offen geblieben zu sein. Oder schlicht unbeantwortet. Daher möchte ich versuchen, Ihnen dieses Thema hier so gut wie möglich aufzuarbeiten, verschiedene Wege aufzeigen und auf das leidige aber notwendige Thema natürliche Selektion eingehen.

In den bald zehn Jahren, in denen ich diese Tiere halte, habe ich viele Versuche unternommen, gesunde, vitale Tiere zu züchten. Ich muss aber gestehen, erst im Jahr 2016 ist mir bewusst aufgefallen, dass sich die Aufzucht von Bombina orientalis als wesentlich trickreicher und pflegebedürftiger gestaltet als beispielsweise die Aufzucht von  Dendrobaten. Dies hat einige Gründe. Ein Hauptgrund ist vor allem der bei Bombina orientalis stark ausgeprägte, sogenannte Crowding-Effekt[1]. Die Quappen sondern über den Verdauungstrakt chemische Stoffe ab, die andere, vor allem aber schwächere Quappen im Wachstum hemmen oder dieses gar zum Erliegen bringt. In der Natur soll dies eine Überpopulation verhindern bzw. stärkeren, vitalen Quappen das Überleben auf begrenztem Lebensraum sichern.

Unterbringung

Für die Aufzucht in der Terrarienkunde bedeutet der Crowding-Effekt[1] oft große Verluste unter den Jungquappen, da auf engem Raum viele Quappen in stehendem Gewässer vorzufinden sind und entsprechend hoch die Belastung durch besagte chemische Stoffe ist. Daher stellt sich als erstes die Frage nach dem Gefäß, indem die Quappen untergebracht werden sollen. Dazu drei Lösungswege, fußend auf meinen Erfahrungen:

      1. Einzelaufzucht

Die wohl sicherste und ergiebigste Form der Aufzucht stellt die Einzellaufzucht der Quappen in 250ml Gläsern dar. Etwa fünf Tage nach dem Schlupf der Quappen sind diese groß genug um aus dem Wasserteil des Elternterrariums abgesaugt und separiert zu werden. Pro Glas werden ein oder zwei Buchenblätter aus dem vergangenen Herbst zugesetzt, die das Wasser mit Huminstoffen anreichern und als Nahrungsergänzung dienen. Ein wöchentlicher Wasserwechsel reicht vollkommen bei sparsamer fütterung. Der Crowding-Effekt[1] wird hierbei quasi annulliert, die Quappen können sich gegenseitig nicht mehr im Wachstum hemmen und stehen in keiner Konkurrenzsituation zueinander. Eine sehr Platzraubende, aber zuverlässige Methode große Mengen an Quappen zuverlässig aufzuziehen. Die natürliche Selektion[2] fehlt gänzlich. Hierzu später aber mehr.

      2. Aufzucht im Terrarium

Die Aufzucht von Quappen in einem artgerechten Terrarium ist möglich. Hat aber entscheidende Nachteile. Zum einen wäre hier der bereits angesprochene Platzmangel. Bei bis zu 80 Eiern pro Paarung, und einer theoretischen Befruchtungsquote von nur 70%, wäre bereits nach dem ersten Laichvorgang der Platz ausgereizt. Hier spielt dann nicht nur der Crowding-Effekt[1] eine entscheidende Rolle, sondern auch das Fressverhalten der Quappen und die Wasserbelastung durch Kot und Futterreste. Frischer Laich nachfolgender Paarungen wird von größeren Quappen mitunter als Nahrungsquelle angesehen, die ausgestoßenen, chemischen Stoffe der älteren Quappen, hemmen die Eientwicklung und verzögern das Wachstum der kleineren Quappen. Trotz regelmäßiger Wasserwechsel ist dieser Zustand mehr oder minder eine Konstante. Auch durch die starke Wasserverschmutzung durch Kot, Futterreste, toten Quappen sowie giftige Stoffwechselprodukte wie Nitrit. Dazu kommt die Unübersichtlichkeit. Als Halter ist die Sicht in zugewachsene Wasserteile nicht gegeben. Der Entwicklungsstand der Quappen oder deren Anzahl nur schwer auszumachen. Dementsprechend schwer fällt das richtig dosierte Zufüttern von Algen und tierischem Protein. In den Jahren, in denen ich nicht aktiv nachgezüchtet habe. Kamen pro Jahr zwei bis vier Jungtiere an Land. Diese Methode der Aufzucht spiegelt sehr gut den Überlebenskampf in der Natur wieder. Auf engem Raum überleben hier nur die stärksten und gesündesten Quappen.

      3. Gruppenaufzucht in externen Gefäßen

Meiner Meinung nach der beste Weg, gesunde Nachkommen zu züchten. Stellt diese Variante der Aufzucht doch den perfekten Mittelweg aus Möglichkeit eins und zwei dar. Auch hier werden die Quappen etwa fünf Tage, nachdem sie sich aus der Gallertschicht befreit haben, bei einem Wasserwechsel mit abgesaugt und anschließend Gruppenweise in 10-15 Liter fassende Gefäße überführt. Die Gruppengröße beträgt zwei bis drei Quappen pro Liter Fassungsvermögen. Wie auch bei der Einzellaufzucht kommen hier einige Buchenblätter des vergangenen Herbstes zum Einsatz, die als Rückzugsort, Nahrung und Huminstoffquelle zur Verbesserung der Wasserqualität dienen. Gefüttert wird täglich sparsam, die ersten drei Wochen wird alle fünf Tage das Wasser gewechselt. Anschließend täglich. In dieser Zeit erliegen durchschnittlich 50-70% der Quappen dem Crowding-Effekt[1], die restlichen Quappen wachsen langsam, aber stetig heran. Die Ausfälle gehen mit der Zeit stetig zurück. Es lässt sich bei dieser Aufzuchtmethode gut erkennen, welche Quappen von Anfang an nicht mithalten können. Hauptsächlich sind es die kleinsten, teils auch mit kleinen Fehlbildungen am Schwanz, Körper oder im Verhalten die vor sich hin kümmern und schlussendlich als Nahrung für die stärkeren Quappen enden. Bei einem theoretischen Besatz von 45 Quappen in einem Gefäß gelangen im Durchschnitt zehn Quappen über den Punkt der Metamorphose hinaus. Ab diesem Zeitpunkt ist die Wirkung des Crowding-Effekts[1] passé. Der nächste Selektionsfaktor wird erst die kommende Kälteperiode im Winter darstellen.

Ich möchte an dieser Stelle festhalten, dass jede Aufzuchtmethode ihre Daseinsberechtigung hat, ebenso ihre Vor- und Nachteile, die je nach aufzuziehender Amphibienart anders ausfallen. Im Falle Bombina orientalis stellt sich die Frage nach dem Ziel der Aufzucht. Genügend Tiere sind dank fortlaufender Importe und gut laufender Zuchten vorhanden, daher ist Möglichkeit eins – ich nenne diese auch die „Jede Quappe muss an Land“ Methode – aufgrund des fehlenden Selektionsdrucks fernab dem Ziel gesunde, vitale Tiere aufzuziehen. Möglichkeit zwei ist, wenn überhaupt, eher ein Nebeneffekt artgerechter Haltung und Terrarien. Für eine Erhaltungszucht kommen hier zwar überwiegend gesunde Tiere an Land, jedoch viel zu wenige um auf lange Sicht eine gesunde Population zu erhalten. Der Gesunde Mittelweg führt also, zumindest meines Erachtens, nur über Möglichkeit drei, bei der schwache, kranke oder anderweitig beeinträchtigte Quappen aufgrund des Crowding-Effekt[1] auf natürliche weiße großzügig aussortiert werden und, im besten Fall, nur gesunde, kräftige Quappen an Land kommen. Zu diesem Thema möchte ich am Ende dieses Artikels aber nochmals Stellung beziehen.

Wasserqualität und Temperatur

Für die Aufzucht der Quappen spielt auch die Wasserqualität eine entscheidende Rolle. Drei wichtige Faktoren sind hier zu beachten.

  1. Der Mineralgehalt des Wassers hat entscheidende Bedeutung für die Aufzucht. Während Dendrobatenquappen beispielsweise problemlos in reinem Regen- und Umkehrosmosewasser aufgezogen werden können, hat sich herausgestellt, dass Bombina orientalis Quappen dem osmotischen Druck nicht standhalten können. Sie blähen zunächst auf und gehen dann ein. Oft begleitet durch innere Blutungen. Eine schmerzliche Erfahrung, die ich im ersten Zuchtjahr leider selbst machen musste. Auch eine großzügige Zugabe an Buchenblättern und Erlenzäpfchen um den Huminstoffanteil des Wassers zu erhöhen hat keinen Einfluss auf diesen Physikalischen Effekt. Abhilfe schafft nur mineralhaltiges Wasser. Ich persönlich halte den Mineralgehalt, also die Gesamthärte des Wassers, in dem Bereich in dem auch heimische Bombina variegata aufwachsen. Dieser liegt durchschnittlich im Bereich 7-16°dGH. Also im mittleren Härtebereich. In vielen Regionen wird Leitungswasser diesem Anspruch ohne Probleme gerecht. Sollte dem nicht so sein, hilft das Mischen mit Regenwasser oder stillem Mineralwasser aus der Flasche.
  2. Nicht nur die Belastung durch Stoffwechselprodukte anderer Quappen ist von Bedeutung. Ein weiterer wichtiger Faktor ist der Nitritwert. Nitrite entstehen durch den Abbau von Futter- und Kotresten und wirken stark toxisch. Nitrate aus dem Leitungswasser können in hohen Konzentrationen ebenfalls kritisch werden. Da die Aufzuchtgefäße keine Aquarien sind, in denen ein möglichst naturnaher Nährstoffkreislauf stattfindet, hilft hier nur der bereits angesprochene, regelmäßige Wasserwechsel weiter um eine Intoxikation der Quappen zu verhindern. Um Pilz- und Bakterieninfektionen vorzubeugen werden wie angesprochen Buchenblätter ins Wasser gegeben. Die Huminstoffe sind natürliche Bakterien- und Pilzhemmer.
  3. Der dritte wichtige Faktor ist die Wassertemperatur. Diese hat enormen Einfluss auf die Wachstumsgeschwindigkeit der Quappen. Im Falle der Bombina orientalis ist bei Temperaturen unter 15°C nahezu keine normale Entwicklung der Quappen mehr zu beobachten. Bei Temperaturen über 22°C wachsen die Quappen zwar rasant und die Metamorphose setzt früh ein, die Landgänger sind dann aber sehr kümmerlich und oft nicht überlebensfähig. Die optimale Wassertemperatur liegt im Mittelwert 18°C. Eine gewisse Temperaturveränderung über den Tag hinweg ist dabei gewollt und fördert das Immunsystem der Quappen. Länger anhaltende Temperaturen über 20°C und unter 16°C sollten jedoch vermieden werden.

Nahrung und Quappenentwicklung

Die Temperatur hat ebenso großen Einfluss auf die Nahrungsaufnahme der Tiere. Je niedriger die Temperatur, desto langsamer, je höher die Temperatur, desto schneller und ineffizienter wird Nahrung verstoffwechselt. Hierbei spielt auch eine Rolle, welche Art Nahrung zu sich genommen wird. Pflanzliche Kost, die meiner Erfahrung und Beobachtung nach 70% des Nahrungsbedarfs ausmacht, wird wesentlich langsamer verdaut als tierische Nahrung. Die Ernährung der Quappen sollte daher Großteiles aus Algen, überbrühten Brennnessel-, Löwenzahn- und Salatblättern bestehen und durch Buchenlaub ergänzt werden. Der proteinhaltige Nahrungsbedarf wird über Fischfrostfutter, beispielsweise Artemia, rote und schwarze Mückenlarven, aber auch im Elternterrarium ertrunkene Futterinsekten gedeckt. Wichtig zu beachten ist hierbei auch, dass die ersten drei bis fünf Tage nach Schlupf und die letzten Tage vor der endgültigen Metamorphose keine Nahrung zu sich genommen wird. Sobald die Vorderbeine ausbrechen, ist diese Vollendet. Die Jungunke zehrt nun noch einige Tage vom Schwanz, der sich in dieser Zeit vollkommen zurück bildet. Anschließend beginnt die aktive Jagd nach Futtertieren an Land.

Es dauert etwa vier bis sechs Wochen, bis eine Quappe das Stadium der Metamorphose überschreitet und das Wasser verlässt. Dementsprechend hoch scheint der Pflegeaufwand nun, den ich in diesem Text beschrieben habe. Ich kann aber versichern: Dem ist nicht so. Geschätzt zehn Minuten täglich bedarf es, sicher zu stellen, dass gesunde und vitale Quappen heran wachsen. Wer wie ich generell nur eine begrenzte Anzahl an Tieren aufzieht, hat noch weniger Arbeitsaufwand. Daher nicht von der Textmenge abschrecken lassen. Ich möchte auch nochmals darauf hinweisen, dass es nebst meinen Aufzuchtwegen sicher andere, mehr oder weniger erfolgreiche Methoden gibt. Oft sind es kleine Einflüsse, wie Wasserwerte oder wenige °C die über Erfolg und Misserfolg entscheiden. Ich persönlich halte meine Aufzuchtmethode nicht für die einzig richtige, jedoch für die der Natur am ehesten gerecht werdende Methode.

Schlusswort

Schlussendlich möchte ich noch ein paar Worte zum Crowding-Effekt[1], der natürlichen Selektion[2] und den Verlusten an Quappen verlieren. Ich kann jeden jungen Tierhalter verstehen, der betrübt über jede tote Quappe und Jungunke ist und stetig versucht noch mehr Tiere an Land zu bringen. Meiner eigenen Erfahrung nach resultiert dieses menschliche Verhalten aus Unwissenheit über Genetik, dem Lauf der Natur und dem Drang es „richtig zu machen“. Die Natur hat mit dem Crowding-Effekt[1] ein Instrument geschaffen um Überpopulationen zu verhindern und kranke bzw. zu schwache Tiere aus zu selektieren. Diese Form der Selektion ist etwas, das in der Terrarienkunde viel zu oft viel zu kurz kommt. Die Relevanz dieses Themas wurde viele Jahre aus Unwissenheit oder Profitgier ignoriert und ist auch heute noch ein unliebsames Thema. Mit teils schwerwiegenden Folgen. Vererbbare Körperdeformationen, Stoffwechselerkrankungen oder Unfruchtbarkeit können Folgen sein. Dies wird oft erst dann sichtbar, wenn es zu spät ist und der Genpool durch genetisch kranke Tiere bereits in problematischer Art und Weiße beeinträchtigt ist. Ein sehr bekanntes und mahnendes Beispiel sind hier allen voran Farbzuchten von Boa constrictor, Eublepharis macularius und Python regius, die teils überhaupt kein natürliches Verhalten mehr an den Tag legen oder gar gravierende Immunschwächen aufweisen. Der Verlust von Quappen, auch wenn es mehr als die genannten 70% sind, mag zwar im ersten Augenblick schmerzlich und unverständlich sein. Sichert jedoch den gesunden Tieren den Fortbestand und ist, einfach gesagt, Teil der Natur. Ich schätze die Quote der Landgänger von Bombina orientalis liegt in der Natur irgendwo zwischen fünf und 15%. Die nachfolgende Selektion durch den ersten Wintereinbruch leistet ihr Übriges. Da erscheinen 15-40% Landgänger und davon mehr als 70% Überlebende der ersten Winterperiode in der Terrarienkunde doch schon wieder viel. Dies sollte bei der Zucht aller Tiere immer im Hinterkopf behalten werden. Schlussendlich fördert es den gesunden Fortbestand unserer Tiere.

Fußnoten:

[1] Crowding-Effekt: Leitet sich aus dem Englischen ab und bedeutet so viel wie „Überfüllungseffekt“. Darunter versteht man insbesondere bei Kaulquappen eine Entwicklungsverzögerung bzw. Entwicklungsstörung eines Teils der Quappen. Dies ist Folge der Absonderung chemischer, oft hormonell wirkender Stoffe anderer Quappen, die zu einer Regulation der Population führen. Abhängig von der Konzentration dieser Stoffe wird das Fressverhalten oder der Stoffwechsel unterlegener Quappen stark gehemmt oder Kannibalismus ausgelöst. So wird gewährleistet, dass die stärksten Exemplare überleben und schwache bzw. kranke Tiere ausselektiert werden.

[2] Natürliche Selektion: Unter der natürlichen Selektion versteht man Vorgänge in der Natur, die simpel als „Survival of the fittest“ bezeichnet werden können. Gesunde, kräftige Tiere unterdrücken zum Beispiel eigene Artgenossen durch Futterkonkurrenz, Kampf oder in anderer Art und Weise. Schwache, Kranke oder anderweitig der Konkurrenz nicht standhaltende Tiere fallen dem Tod durch Verhungern, dem gefressen werden oder verkümmern anheim. Die Natur stellt so sicher, dass nur die gesündesten und kräftigsten Tiere überleben.